Snake Skin Shoes

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Freitag, 1. April 2011

Alles ist Fußball - Fußball ist alles.


Ein Fußballtrainer wie er im Buche steht und ihn wahrscheinlich jeder Kicker einmal hatte: Trillerpfeife um den ausgebeulten, mit reichlich Hopfen und Malz traktierten Bierbauch. Dazu ein mit vielen Bällen gefülltes Netz, mit welchen er bereits unzählige Begegnungen hatte, und die auch seine geschundenen, krummen, alten Beine erklären. Ist mit so einem Mann ein Gespräch, fernab des Fußballs, von Bolzplätzen, Blutgrätschen und Traumtoren möglich? Eigentlich nein. Doch mit Hilfe des runden Leders sollte es selbst diesem Paradeexemplar eines Fußballverrückten auf sympathische - wenn auch teils verrückte -, Art gelingen, die Welt zu erklären. Getreu dem Motto: Alles ist Fußball - Fußball ist alles.
Angefangen von den ersten Schritten des Fußballs auf der Insel, dem legendären Sparwasser-Tor oder der Ungerechtigkeit der Länderspielanrechnung für ehemalige Ostspieler - unser Trainer lässt kaum ein Ereignis rund um den Ball im vergangenen Jahrhundert aus. Doch nicht nur das sind Themen in seinem, wie er es nennt, "leidenschaftlichen Denken": Selbst historische Fakten lässt er nicht fußballerisch unkommentiert. So stellt er beispielsweise fest, dass es im Zweiten Weltkrieg zwischen dem Deutschen Reich und Großbritannien 2:1 nach Bombenabwürfen steht. Auch andere Sportarten scheinen dem leidenschaftlichen Denker, dessen  Sprechart durchaus auch als Brüllen interpretiert werden kann, nicht fremd, jedoch sind sie in seiner Wertschätzung eher in der untersten Schublade angesiedelt. Volleyball sei zu langweilig, nichtmals ein "Hab ich etwas verpasst?!" nach dem Toilettengang scheint hier von Nöten. Die Handballer und die Basketballer müssten gar nicht erst mit dem Spielen beginnen, fielen dort sowieso viel zu viele Tore, dass diese an Wichtigkeit verlieren würden. Wem dieser verschrobene, cholerischwirkende Mann nicht schon nach seinen passionierten Ausführungen, die so unvorhersehbar scheinen, wie die nasse Lederkugel auf einem von Pfützen und Matsch übersäten Kickplatz, ans Herz gewachsen ist, dem wird dies spätestens nach den fürsorglichen Erzählungen rund um seinen Ziehsohn Heiko, ein Verteidiger wie er im Buche steht, passieren. So erfahren wir, wie unser Protagonist seinem Topspieler von Frauen abrät, um das Mannschaftsgefüge nicht zu gefährden. Um dies zu beschleunigen, ernennt er seinen Heiko geschwind zum Spielführer. Er kümmert sich rührend um seine Jungs, telefoniert ihnen hinterher und riskiert so eine horrende Telefonrechnung. 
Gegen Ende des Werkes ein Umschwung, welcher den Leser beinahe aus seinen geschnürten Stollenschuhen jagd: "Rein von der Evolution her", so unser Philosoph, "kamen wir von den Bäumen runter und nahmen die Füße zum laufen". Bis 1867 wären Seuchen und Kriege das größte Übel gewesen, doch dann wurde begonnen Fußball zu spielen. Die Polizei hätte keinen Grund gesehen, dass Kicken im Park zu unterbinden, so ließen sie die Hand voll junger Männer weiter auf einem Stück Wiese hinter einem runden Leder her hecheln. Unser Trainer dagegen sieht darin einen großen Irrtum, allesamt hätten erschossen werden müssen! Die Zerschlagung der öffentlichen Ordnung habe somit begonnen...


Thomas Brussig, geboren 1965 in Berlin, gelingen mit diesem Büchlein wunderbare Doppelpässe zwischen der neuesten deutschen Geschichte, Gesellschaftskritik (ob fundiert oder am Kneipenstammtisch) und dem Fußball. Nach Erfolgen wie "Am kürzeren Ende der Sonnenalle", folgte im Jahr 2006 Leben bis Männer. Hiermit gelang es Brussig, der seine Brötchen vor seinem schriftstellerischem Erfolg u.a. als Museumspförtner, Tellerwäscher, Reiseleiter, Hotelportier, Fabrikarbeiter und Fremdenführer verdiente, auch fußballdesinteressierte Leser von diesem einzigartigen Sport zu überzeugen. Gar soweit, dass es Einzug in den Deutschunterricht mancher Gymnasien hielt.